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Wie denken Pferde? Eine neurowissenschaftliche Perspektive

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Wie den­ken ei­gent­lich Pferde, wie funk­tio­niert ihr Gehirn und wie neh­men Pferde ihre Umwelt war? Hast du dich das schon mal ge­fragt, wenn dein Pferd auf ein­mal wie­der Gespenster sieht? Dem Denken von Pferden bzw. der Funktion ih­res Gehirns und ih­rer Sinnesorgane wol­len wir hier auf den Grund ge­hen. Wie kann Pferde-Gehirn-Gerechtes Training aus­se­hen? Denn statt auf Versuch und Irrtum das Training auf­zu­bau­en, ist es heu­te mög­lich, auf Basis der Neurowissenschaft das Training pfer­de­ge­recht auf­zu­bau­en — eben an das Gehirn, die Art des Denken und der Umweltwahrnehmung von Pferden an­ge­passt. Dadurch ent­steht we­ni­ger Frust, Fehlkommunikation und Ärger im Umgang mit dei­nem Pferd — das klingt doch wun­der­bar, oder?

Denken Pferde anders als Menschen? Der präfrontale Cortex

Pferde ha­ben im Gegensatz zum Menschenhirn ei­nen we­ni­ger aus­ge­bil­de­ten prä­fron­ta­len Cortex. Soweit so gut — doch was be­deu­tet das nun? 

Der prä­fron­ta­le Cortex beim Menschen ist ein Gehirnareal, wel­ches di­rekt hin­ter der Stirn liegt und ganz ein­fach aus­ge­drückt die Aufgabe hat, un­be­wuss­te Analysen von Umwelteinflüssen vor­zu­neh­men und eine ad­äqua­te Reaktion zu pla­nen. Begegnet dir nachts also eine Person, neh­men dei­ne Augen die Umrisse wahr, die Information wird durch den Sehnerv an den vi­su­el­len Cortex ge­lei­tet, die op­ti­schen Eindrücke wer­den ver­ar­bei­tet und dann geht die Information an den prä­fron­ta­len Cortex. Hier wird dann die un­be­wuss­te Analyse der Informationen vor­ge­nom­men: Ist die Situation als harm­los ein­zu­ord­nen oder soll­te ich schnell weg­lau­fen? Dieser Vorgang pas­siert beim Menschen ver­hält­nis­mä­ßig lang­sam und die­se Art der Informationsverarbeitung, wäre für das Beutetier-Pferd de­fi­ni­tiv zu langsam! 

Warum Pferde immer aus der selben Ecke springen

Daher, wie oben be­reits ge­schrie­ben, hat das Pferd kei­nen ge­nau­so aus­ge­bil­de­ten prä­fron­ta­len Cortex wie der Mensch, son­dern eine di­rek­te Verschaltung zwi­schen Wahrnehmung und Handlung — zwi­schen Auge und Bewegung. Ein Pferd sieht et­was, die Information wird an den vi­su­el­len Cortex wei­ter­ge­lei­tet und von dort so­fort in den Motor-Cortex ge­lei­tet, sprich in den Bereich des Gehirns, wel­cher die Motorik kon­trol­liert. Der Befehl an den Körper lau­tet dann: Flucht — jetzt! Diese Verkettung läuft für das Pferd un­be­wusst ab!  Springt dein Pferd also in der Ecke weg oder flüch­tet vor ei­nem Traktor, ist das erst­mal ein na­tür­li­ches Verhalten, denn sie kön­nen ihre in­stink­ti­ven Handlungen nicht voll­stän­dig steu­ern, so wie ein Mensch es kann. Diese neu­ro­wis­sen­schaft­li­che Erkenntnis ist für das Verständnis von Training mit dei­nem Pferd eine ganz wich­ti­ge Information: Du kannst zwar im Rahmen der Ausbildung dein Pferd an Traktoren oder die ge­fähr­li­che Ecke ge­wöh­nen, je­doch soll­test du im­mer im Hinterkopf ha­ben, dass das Denken dei­nes Pferdes bzw. das Lernen auf­grund der an­de­ren Verschaltung nicht so ab­läuft wie bei dir. Möchtest du mehr dazu er­fah­ren, wie Pferde ler­nen: Dann hör ger­ne in mei­ne Podcast-Folge dazu rein!

Janet L. Jones be­schreibt in ih­rem Buch “Horse Brain — Human Brain — Erkenntnisse aus der Neurowissenschaft — wie Pferd und Mensch den­ken, füh­len, han­deln” das Gehirn des  Menschen als ziel­ori­en­tiert und da­ge­gen das Gehirn des Pferdes als sti­mu­lus-ori­en­tiert, was sehr schnell zu Kommunikationsproblemen und Missverständnissen in der Pferd-Mensch-Beziehung füh­ren kann.

Die Stimulus Orientierung hat auch Auswirkungen auf die Aufmerksamkeitsspanne ei­nes Pferdes. Das Pferdegehirn ist grund­sätz­lich eher auf Wachsamkeit als auf Konzentration aus­ge­legt. Als Beutetier kann es sich nicht leis­ten, vol­le Aufmerksamkeit auf eine Aufgabe zu ha­ben, denn es ist dar­auf pro­gram­miert, im­mer flucht­be­reit zu sein.

Denken von Pferden verstehen: Was sehen Pferde?

Wenn es um die Reizverarbeitung des Pferdegehirns geht und die Frage, was sich dar­aus für das Training ab­lei­ten lässt, kommt na­tür­lich auch die Frage auf, wie dein Pferd ei­gent­lich sei­ne Umwelt über­haupt wahr­nimmt. Dein Pferd hat fünf Sinne: Sehen, Hören, Schmecken, Riechen und Fühlen. Schauen wir uns im Folgenden Sehen und Riechen an.

Sehvermögen von Pferden und die Konsequenzen für das Training

Vorneweg sei ge­sagt: Das Sehvermögen von Pferden ist ganz an­ders als von Menschen!!  Daraus soll­ten sich ei­gent­lich Konsequenzen für das Training er­ge­ben, was aber lei­der viel zu häu­fig igno­riert wird.  Daher zur bes­se­ren Veranschaulichung ein­mal wie­der der Vergleich zum Menschen:  Bei Menschen wird die op­ti­ma­le Sehschärfe nach me­di­zi­ni­scher Übereinkunft mit 6/6 be­schrie­ben. Die ers­te Zahl be­schreibt die Sehleistung des Menschen, wel­cher den Sehtest ge­ra­de durch­führt. Er steht sechs Meter ent­fernt von ei­ner Tafel und soll eine Reihe von Buchstaben er­ken­nen. Die zwei­te Zahl be­schreibt die Sehfähigkeit ei­nes Menschen mit op­ti­ma­ler Sehfähigkeit bei glei­cher Entfernung — so­zu­sa­gen als Vergleichswert. 

Nun zu der Sehfähigkeit von Pferden: Pferde ran­gie­ren zwi­schen 6/9 und 6/18! Dein Pferd nimmt also Details, wel­che du aus 9 Meter wahr­neh­men kannst — du bist in dem Beispiel die op­ti­ma­le Sehschärfe — im bes­ten Fall erst wahr, wenn es 6 Meter ent­fernt ist. Oder im schlech­tes­ten Fall, siehst du die Details schon aus ei­ner Entfernung von 18 Metern (Zahl 2), dein Pferd aber erst bei ei­ner Distanz von 6 Metern. In der Schlussfolgerung be­deu­tet das, dass dein Pferd 50% bis 200% nä­her am Objekt sein muss, um die glei­chen Details zu se­hen wie du! Um ihre schlech­te Sehfähigkeit aus­zu­glei­chen, he­ben Pferde dann häu­fig den Kopf zur Erweiterung des Sichtfeldes, wei­ten die Augen, spit­zen die Ohren und blä­hen die Nüstern, denn so kön­nen sie zur Wahrnehmung der Umgebung den Hörsinn und Geruchssinn hinzunehmen. 

Besser als Menschen se­hen Pferde hin­ge­gen in der Peripherie und auch ihr Bewegungssehen ist aus­ge­bil­de­ter. So lässt sich auch er­klä­ren, dass sich Pferde er­schre­cken, ob­wohl der Mensch kei­ne Gefahr wahr­ge­nom­men hat. Da Pferde aber die Bewegung hin­ter sich prä­zi­se wahr­neh­men, aber ohne das Angsteinflößende scharf se­hen zu kön­nen, er­schre­cken sie sich als Fluchttiere und du fragst dich warum. 

Merke dir also: Du siehst eine ei­ge­ne Realität, die ganz an­ders ist, als die dei­nes Pferdes.

Geruchssinn von Pferden

Pferde nut­zen den Geruchs- und Geschmackssinn deut­lich ef­fek­ti­ver als ihre Seh- und Hörsinn, um ihre Umwelt wahr­zu­neh­men. Da der Mensch aber selbst auf sei­nen Sehsinn fo­kus­siert ist, wird dies häu­fig übergegangen. 

Pferde ha­ben z. B. mehr Geruchsrezeptoren als man­che Hunderassen. Beide Tiere ha­ben auch un­ge­fähr die glei­che Anzahl an Nervenfasern, wel­che Geruchsinformationen zum Gehirn lei­ten. Pferde ha­ben eben­so vie­le funk­tio­na­le Gene wie Hunde und der Riechkolben im Pferdegehirn hat pro­zen­tu­al ge­se­hen die glei­che Größe wie bei Hunden. Und dazu be­sitzt es so­gar auch noch zwei Geruchsorgane: die Nase und das Vomeronasale Organ. Letzteres nutzt es z.B. beim Flehmen. Die Verarbeitung von Gerüchen nimmt also in der Umweltwahrnehmung dei­nes Pferdes ei­nen gro­ßen Stellenwert ein; lass es da­her im­mer an Dingen schnup­pern, statt es da­von ab­zu­hal­ten! Es nutzt die­sen Sinn, um Dinge wahr­zu­neh­men und zu verstehen.

Pferde neh­men also ihre ei­ge­ne Realität wahr und die ist ganz ver­schie­den zu un­se­rer. Das soll­ten wir be­rück­sich­ti­gen, wenn wir eine har­mo­ni­sche Pferd-Mensch-Beziehung füh­ren wol­len. Möchtest du mehr zu dem Thema wis­sen? Dann kann ich dir das Buch “Horse Brain — Human Brain — Erkenntnisse aus der Neurowissenschaft — wie Pferd und Mensch den­ken, füh­len, han­deln” von Janet L. Jones er­schie­nen im Kosmos-Verlag, wirk­lich sehr an Herz le­gen (un­be­zahl­te Werbung we­gen Namensnennung).

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Dr. Veronika Klein

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