Das wichtigste in Kürze
» Ganganalyse ist für jeden erlernbar: Die Fähigkeit, den Gang deines Pferdes zu beurteilen, ist kein angeborenes Talent, sondern eine trainierbare Fähigkeit, die du durch systematisches Beobachten schulen kannst.
» Nutze dein Smartphone als Analyse-Tool: Videoaufnahmen ermöglichen dir eine stressfreie und wiederholbare Analyse. Konzentriere dich dabei auf drei Schlüsselpunkte: die Bewegung von Widerrist, Becken und Schweif.
» Du bist der Anwalt deines Pferdes: Da Lahmheit immer ein Ausdruck von Schmerz ist, wirst du durch dein geschultes Auge zum wichtigsten Gesundheitsmanager und kannst frühzeitig die richtigen Entscheidungen für dein Pferd treffen.
(Siehe dazu auch den Artikel: “Schmerz oder Erziehungsfrage?”)
Ganganalyse: Reines Talent oder erlernbare Fähigkeit?
„Mein Pferd läuft irgendwie komisch.“ Ein Satz, der vielen Pferdebesitzern bekannt vorkommt und oft der Beginn einer langen Reise ist. Doch was bedeutet „komisch“? Ist es eine geringgradige Lahmheit, eine Verspannung oder nur ein schlechter Tag? Die subjektive Ganganalyse – also das Beurteilen der Bewegung mit dem eigenen Auge – ist die Grundlage für jede weitere Entscheidung. Doch viele fühlen sich überfordert und denken, sie hätten einfach nicht den „Blick“ dafür.
Die gute Nachricht zuerst: Das Erkennen von Unregelmäßigkeiten im Gangbild ist keine Frage des Talents, sondern eine erlernbare Fähigkeit. Selbst erfahrene Tierärzte und Therapeuten geben zu, dass sie am Anfang ihrer Laufbahn oft das Gefühl hatten, „blind“ zu sein. Der Schlüssel liegt nicht in einem angeborenen Genie, sondern in einem systematischen Vorgehen. Ohne einen klaren Plan, wohin man schauen soll, springt der Blick unkontrolliert von den Hufen über den Rücken zum Kopf – und am Ende hat man zwar alles, aber doch nichts Konkretes gesehen.
Warum das Auge ein System braucht, um Lahmheit zu sehen
Ohne eine feste Struktur neigen wir dazu, unseren Fokus zu zerstreuen. Man konzentriert sich vielleicht auf das Fesselgelenk hinten rechts, während die eigentliche Ursache an der Schulter vorne links liegt. Dieses Fehlen eines mentalen Leitfadens führt zu zwei Extremen: Entweder man sieht gar nichts, obwohl das Pferd Schmerzen hat, oder man interpretiert in ein völlig gesundes Pferd eine Lahmheit hinein, weil man sich auf Kleinigkeiten fixiert.
Eine strukturierte Ganganalyse schult das Auge darauf, physiologische, also gesunde Bewegungen von Abweichungen zu unterscheiden. Dieses Wissen ist die Basis, um im Gespräch mit Tierärzten oder Therapeuten die richtigen, kritischen Fragen stellen zu können. Es geht nicht darum, selbst eine Diagnose zu stellen, sondern darum, eine fundierte Beobachtungsgabe zu entwickeln.
Dein Smartphone als wertvollstes Analyse-Tool

In der heutigen Zeit haben wir einen unschätzbaren Vorteil: das Smartphone. Ein kurzes Video von deinem Pferd im Schritt und Trab ist Gold wert. Der flüchtige Moment, in dem das Pferd an dir vorbeiläuft, lässt sich so beliebig oft wiederholen, verlangsamen und in Ruhe analysieren.
Das hat mehrere Vorteile:
Vergleichbarkeit: Regelmäßige Videos ermöglichen es dir, Veränderungen im Zeitverlauf objektiv zu bewerten und den Erfolg von Training oder Therapie zu überprüfen.
Weniger Stress für das Pferd: Du musst ein potenziell lahmes Pferd nicht unzählige Runden traben lassen.
Analyse in Ruhe: Du kannst dir das Video später ohne den Druck der Live-Situation ansehen und die einzelnen Kriterien systematisch durchgehen.
Wenn dich moderne Analysemethoden interessieren, lies gerne auch den Artikel: “KI-Ganganalyse: Besser als das menschliche Auge?”
Worauf du achten solltest: 3 konkrete Tipps für deine Ganganalyse
Um dir den Einstieg zu erleichtern, konzentriere dich zunächst auf drei markante Körperregionen. Beobachte dein Pferd dafür am besten im Trab, während es beispielsweise an einem Koppelzaun entlangläuft. Die horizontale Linie des Zauns dient dabei als perfekter visueller Referenzpunkt.
Der Widerrist als Taktgeber
Bei einem gesunden Pferd bewegt sich der Widerrist im Trab in einer gleichmäßigen, wellenartigen Bewegung rhythmisch auf und ab. Im Verhältnis zur Zaunlinie taucht er immer gleich weit auf und wieder ab. Bei einer Lahmheit in der Vorhand wird diese Bewegung asymmetrisch. Der Widerrist „hüpft“ auf dem schmerzenden Bein oft deutlich mehr nach oben, um es schneller zu entlasten, und senkt sich auf dem gesunden Bein weniger stark ab. Die harmonische Welle wird zu einem unruhigen Hüpfen.
Das Becken: Hüpfen statt Schwingen
Ähnliches gilt für die Hinterhand. Betrachte den höchsten Punkt der Kruppe. Auch dieser sollte sich auf beiden Seiten gleichmäßig auf und ab bewegen. Liegt eine Lahmheit in der Hinterhand vor, kommt es oft zu einem sogenannten „Beckenhüpfen“. Das Pferd stößt sich auf dem schmerzenden Bein stärker nach oben, um die Belastungsphase zu verkürzen. Die Bewegung verliert ihre Symmetrie und wirkt stoßartig.
Der Schweif als Spiegel der Losgelassenheit
Der Schweif ist ein oft unterschätzter Indikator für das Wohlbefinden. Ein losgelassenes, schmerzfreies Pferd trägt seinen Schweif entspannt und lässt ihn im Takt der Bewegung pendeln. Achte dabei auf die Schweifspitze. Folgende Anzeichen deuten auf Verspannungen oder Schmerzen hin:
- Geklemmter Schweif: Das Pferd klemmt den Schweif fest zwischen die Hinterbeine.
- Schweifschlagen oder ‑pinseln: Unruhige, schlagende Bewegungen können auf Unbehagen oder Schmerzen hindeuten.
- Schiefer Schweif: Ein konstant schief getragener Schweif ist ein häufiges Zeichen für Asymmetrien und Blockaden.
Wichtig: Betrachte immer das Gesamtbild! Ein einzelnes Schweifschlagen an einem mückenreichen Tag ist kein Grund zur Panik. Erst wenn mehrere Anzeichen zusammenkommen oder ein Symptom dauerhaft auftritt, solltest du genauer hinschauen und das Verhalten im Gesamtkontext bewerten.
(Siehe zu diesem Thema auch den Artikel: “Rückenschmerzen bei Pferden behandeln”)
Der Sonderfall: Was bei Gangpferden zu beachten ist
Isländer, Paso Peruanos und andere Gangpferde stellen eine besondere Herausforderung dar, da ihre Bewegungsabläufe komplexer sind. Doch auch für sie gelten Grundprinzipien der Symmetrie. Die wichtigste Regel: Ein gesundes Pferd sollte in der Lage sein, eine Gangart taktklar und über eine längere Strecke zu halten.
Wenn dein Pferd ständig zwischen den Gängen wechselt, keinen klaren Tölt oder Trab findet und du das Gefühl hast, einen „Gänge-Salat“ zu reiten, ist das ein deutliches Warnsignal. Dieser Taktverlust wird oft fälschlicherweise auf den Reiter oder die Gangveranlagung geschoben, kann aber ein klares Anzeichen für eine zugrundeliegende Lahmheit sein, die das Pferd am Halten des Taktes hindert.
Fazit: Du bist der wichtigste Anwalt für die Gesundheit deines Pferdes
Lahmheit ist ein Schmerzvermeidungsverhalten. Sie zu erkennen, ist eine der wichtigsten Aufgaben als Pferdebesitzer und ein entscheidender Aspekt des Tierschutzes. Indem du lernst, die Bewegung deines Pferdes systematisch zu analysieren, entwickelst du ein feines Gespür für seinen Normalzustand. Du wirst zum wichtigsten Anwalt für seine Gesundheit, kannst Training und Management besser anpassen und im entscheidenden Moment die richtigen Maßnahmen ergreifen. Du gibst deinem Pferd eine Stimme, indem du lernst, seine Sprache – die Bewegung – zu verstehen.
(Zur Vertiefung einer häufigen Lahmheitsursache, siehe auch den Artikel: “Sehnenschaden beim Pferd: Die 3 größten Aufbau-Fehler”)
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Zudem belasten dich unerwartete Tierarztkosten und andere finanzielle Verpflichtungen und große Kurse ab 400€ und Ausbildungen von 1.000€ und mehr sind daher für dich nicht machbar?
Daher denkst du oft “Ich hätte sehr gerne teilgenommen.”, “Derzeit passt es leider nicht — ich hoffe ich kann beim nächsten Mal dabei sein.” und hast ein schlechtes Gewissen, Frust oder Traurigkeit machen sich breit.
In deinem Stall fehlt dir aber der fachliche Austausch und bei Einführung von neuen Dingen wirst du schief angeschaut, die Augen werden gedreht und lächelnd mit dem Kopf geschüttelt.
Diese Situation wurde mir jahrelang berichtet und immer wieder hatte ich schlaflose Nächte, wie wir das alles unter einen Hut bekommen können.
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Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Achte auf Asymmetrien in der Bewegung. Ein ungleichmäßiges Auf und Ab des Widerristes kann auf eine Vorderbeinlahmheit hindeuten, während ein einseitiges „Hüpfen“ der Kruppe oft auf Probleme in der Hinterhand hinweist. Auch ein geklemmter oder schlagender Schweif sind wichtige Anzeichen.
Nein, jeder Pferdebesitzer kann und sollte die Grundlagen der Ganganalyse lernen. Es geht darum, Abweichungen von der normalen Bewegung zu erkennen, um frühzeitig reagieren und gezielt einen Experten (Tierarzt, Therapeut) hinzuziehen zu können.
Nimm kurze Videos von deinem Pferd im Schritt und Trab auf, idealerweise von der Seite, von vorne und von hinten. So kannst du dir die Bewegungen in Ruhe, in Zeitlupe und mehrfach ansehen, ohne das Pferd zu überlasten.
Ja, unbedingt. Pferde sind Meister im Kompensieren von Schmerzen. Ein „komischer“ Gang oder Rittigkeitsprobleme sind oft die ersten, subtilen Anzeichen für eine beginnende Lahmheit oder eine schmerzhafte Grunderkrankung. Eine frühzeitige Abklärung kann Schlimmeres verhindern.
Ein locker im Takt der Bewegung pendelnder Schweif ist ein wichtiges Zeichen für Losgelassenheit. Losgelassenheit bedeutet, dass das Pferd körperlich und mental entspannt ist und keine akuten Schmerzen oder starken Stress empfindet.